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Im Museum der Popkultur – Flohmärkte sind Gebraucht!

15. November 2016
Barbara Keil
Dinge & Lagern

Wer auf einen Flohmarkt geht, kann weit in die Untiefen deutscher Wohnzimmer, Kleiderschränke und Speicherabteile vordringen. Aber sind die Dinge von gestern wirklich verstaubt? Warum es gut ist, dass wir manche Dinge aufbewahren.

Auf den Tischen der Flohmärkte an einem Frühlingsmorgen auf der Münchner Theresienwiese, bei Kaffee und Kuchen in Schwabings Hinterhöfen oder auf einem Midnightbazar im Postpalast. Hier reiht sich Omas Kaffeeservice mit Veilchenmuster an TKKG-Kassetten. Hinter den Verkaufstischen stehen Mädchen, um sich von ihren frisch gebügelten Blümchenkleidern zu trennen, Musik-Liebhaber, die jeden argwöhnisch im Auge behalten, der ihre sorgsam konservierten Schallplattenhüllen berührt, alternative Paare, die ihre Art Déco-Schränke oder vergilbte Kursbuch-Reihe von Markt zu Markt tragen.

Zusammengetragen aus den Winkeln von Kleiderschränken, von Dachböden oder aus aufgelösten WG-Zimmern tauchen hier viele Gegenstände aus den Zwischenlagern auf, in denen alles dämmert, wovon wir uns so ungern trennen. Entweder weil die Dinge uns an Personen oder Lebensphasen erinnern oder weil sie zu schade zum Wegwerfen sind. Flohmärkte sind Subkultur-Museen, in denen sich persönliche Vorlieben und der Zeitgeschmack der letzten Jahrzehnte bunt mischen – Fehlgriffe und kühne Experimente natürlich inklusive.

Um es prosaischer zu formulieren: natürlich haben die meisten Gegenstände über die Zeit ihre Neuheit abgenutzt und ihre Aktualität verloren. Was sie wirklich wert sind, steht aber auf dem Flohmarkt noch einmal neu zur Verhandlung. Die Spielkonsole, für die ihr Besitzer monatelang sein Taschengeld gespart hat, kann ein verstaubtes Gerät sein, das ein paar Euro wert ist. Oder sie hat Kultstatus. Denn manchen Dingen verhilft genau das Aufbewahren zu einem neuen Wert: Gerade Modetrends greifen immer wieder auf Elemente früherer Jugendkulturen zurück. So sind die Converse-Turnschuhe aus den 80er-Jahren, von denen ihr Besitzer sich nicht trennen konnte, 30 Jahre später wieder ein begehrtes Einzelstück, das ein junger Typ mit Wollmütze begeistert in seinem Jute-Beutel verstaut.

Die eigene persönliche Verbindung mit den Dingen trifft auf dem Flohmarkt auf den Wert, den sie in fremden Augen haben. Was man aufhebt und verkauft, kann etwas über den eigenen Geschmack aussagen, über Lebensstil und momentane oder abgeschlossene Lebenssituationen.

Der Prozess der Trennung ist dabei Stilfrage. Es gibt Verkäufer, die die Klamotten ihrer Skateboard-Phase selbstbewusst ausstellen wie für einen Instagram-Post, ein anderer verscherbelt betont nachlässig, was er hat, um vielleicht mit dem Gefühl nach Hause zu gehen, wieder ganz neu anfangen zu können. Mancher schaut skeptisch und ein bisschen empfindlich auf die Leute, die vorbeischlendern und Preise für die Stücke nennen, die ihrem Verkäufer  unmoralisch niedrig vorkommen.

Der subjektive Wert der Dinge schreibt sich aber auch für den fort, der auf dem Flohmarkt kauft. Denn dass die gebrauchten Gegenstände ihre eigene Geschichte mitbringen, einen Zeitgeschmack bezeugen und die Gebrauchsspuren ganz unterschiedlicher Menschen tragen, gibt ihnen einen besonderen Charakter. Der lässt alle Spekulationen offen: wer die Gegenstände schon besessen haben mag, in welchen Räumen sie gestanden haben, welche Erlebnisse sich mit ihnen verbinden. Gebrauchtes kann sogar selbst zur Mode werden, wie der „Vintage“ und „Shabby Chic“ –Trend in den letzten Jahren beweist. Für ihre neuen Besitzer verbindet sich mit den Kleidungsstücken und Deko-Artikeln die Erinnerung an ein besonderes Erlebnis. Etwa den Streifzug durch London und den Besuch des „Flea Markets“ im Stadtteil Camden oder an die Begegnung mit einem Verkäufer-Paar, das bilderreich von der Marokko-Reise in den 70ern erzählt.

So unterschiedlich die Gründe sind, aus denen ihre Besitzer sie aufbewahrt haben: Mancher Gegenstand bekommt dadurch genau die Zeit, die er braucht, um besser als neu zu sein und in vertauschten Wohnungen und auf mondäneren Feiern zu einem zweiten Leben erwachen. Dass jeder die Dinge, die ihn persönlich ansprechen, auf Flohmärkten erst aufstöbern muss, macht die Suche nur spannender.

Barbara Keil

Barbara Keil studierte Lateinische und Griechische Philologie sowie Neuere Deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie lebt und arbeitet in München.